Prof. Dr. Markus Schneider, Prof. Dr. Sebastian Meißner, Prof. Dr. Sven Roeren und Prof. Dr. Carsten Röh (v. l.) freuen sich über das fünfjährige Bestehen des TZ PULS . - Foto: Hochschule Landshut
Dingolfing – pm (14.10.2021) Vor fünf Jahren entstand in Dingolfing das Technologiezentrum Produktions- und Logistiksysteme (TZ PULS) als Außenstandort der Hochschule Landshut – mit der 900 m2 großen Lern- und Musterfabrik, zwei berufsbegleitenden Master-Studiengängen, Weiterbildungsangeboten für Unternehmen und zahlreichen Veranstaltungen zum Thema der intelligenten Produktionslogistik.
Welche Idee steckt hinter der Gründung der Forschungsinstitution? Wo steht das TZ PULS heute? Und welche Wünsche sind für die nächsten fünf Jahre noch offen? Die vier Professoren, die am TZ PULS mit ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern forschen und lehren, haben diese Fragen anlässlich des 5-jährigen Jubiläums beantwortet.
Wie kam es zu der Idee, in Dingolfing ein Technologiezentrum für Produktions- und Logistiksysteme zu gründen?
Markus Schneider: Den Anstoß gab die Stadt Dingolfing, die damals bei der Hochschule Landshut anfragte, ob wir gemeinsam etwas aufbauen könnten. Innerhalb der Hochschule wurden verschiedene Vorschläge diskutiert, die letztendlich zur Errichtung des Technologiezentrums führten. Ein Handlungsstrang war die Einführung von berufsbegleitenden Master-Studiengängen, ein anderer war mein Vorschlag, eine Lern- und Musterfabrik für Produktionslogistik zu errichten.
Sven Roeren: Das TZ PULS wurde seinerzeit auch deshalb gegründet, weil die regionale Wirtschaft den dringenden Bedarf äußerte, das Thema „Produktionsmanagement der Zukunft“ in Form einer Hochschulinstitution regional zu bündeln. Diese Gespräche führten zur Einrichtung des Masterstudiengangs „Werteorientiertes Produktionsmanagement“.
Sebastian Meißner: Aus diesem Nukleus hat sich dann das Konzept weiterentwickelt, um auch eine Lernfabrik zu integrieren und die Ausbildung nahe am realen Prozess zu gestalten und letztlich auch, um eine anwendungsnahe und fakultätsübergreifende Forschungsstelle insbesondere für mittelgroße Unternehmen in Niederbayern einzurichten.
Markus Schneider: Die Musterfabrik bildet den Kern eines Technologiezentrums. Eine 200 m2 große Lernfabrik, die ich am Standort Landshut hatte, haben wir auf 900 m2 erweitert, mit der Idee, das gesamte Technologiezentrum als „U“ rund um diese neue Musterfabrik aufzubauen: die Idee war, im Seminarraum Unterricht zu halten und stets den Bezug zur physischen Musterfabrik herzustellen.
Was macht für Sie die Besonderheit des TZ PULS aus?
Sebastian Meißner: Vier Professoren aus dem Forschungsschwerpunkt PULS bringen hier mit ihren wissenschaftlichen Mitarbeitern ganz unterschiedliche Fachgebiete zusammen: von der Beschaffung, über die Material- und Fertigungswirtschaft bis zu Logistik und Produktionsmanagement. Es ist so ein zentraler Ort in der Region entstanden, der eine Bandbreite an relevanten Themenstellungen der Industrie gebündelt adressiert. Hier bieten wir einen niederschwelligen und anschaulichen Zugang zu Forschungsergebnissen und innovativen Technologien insbesondere durch den Betrieb unserer Lern- und Musterfabrik.
Carsten Röh: Der Standort bietet uns eine hervorragende Infrastruktur, um das Thema Produktions- und Logistiksysteme sowie Beschaffung in Forschung, Lehre und hinsichtlich Wissenstransfer anzugehen. Mit Wissenstransfer meine ich, dass wir Forschungsergebnisse gemeinsam mit Unternehmen der Region erarbeiten und diese Ergebnisse in die Unternehmen zurückspielen.
Was unterscheidet das TZ PULS von anderen Technologiezentren?
Markus Schneider: Die Musterfabrik, also der Kern des TZ PULS, unterscheidet sich von anderen darin, dass wir ihr eine durchgängige Struktur gegeben haben. Wir simulieren ein mittelständisches Unternehmen, das ein Produkt – bei uns einen Bodenroller – produziert. Es wird eine durchgängige Musterfabrik vom Wareneingang bis zum -ausgang, also der komplette Wertschöpfungsprozess, dargestellt.
Das zeigen wir in zwei Entwicklungsstufen: Zum einen können wir mit unserer Lernfabrik jedes Unternehmen da abholen, wo es heute bezüglich seiner Prozessreife steht: Wie baue ich mit einfachen Mitteln stabile und effiziente Produktions- und Logistikprozesse auf? Und zum anderen haben wir mit der eigentlichen Musterfabrik eine Hochleistungslogistik und -montage, die alle Möglichkeiten der Smart Factory, der Industrie 4.0, nutzt und mit den Lean Elementen verbindet.
Inwiefern profitieren Unternehmen von der Zusammenarbeit mit dem TZ PULS?
Markus Schneider: Die Unternehmen können bei uns nicht nur viele Technologien sehen und Ideen sammeln, sondern bekommen von uns auch eine Einschätzung, wo sie heute stehen. Davon wiederum können sie mit uns Maßnahmen ableiten, um sich auf die nächste Stufe in puncto Reifegrad zu heben. Wir können sowohl Unternehmen, die noch in der Push-Werkstattfertigung sind, unterstützen, als auch solchen, die schon sehr weit in ihren Prozessen und Technologien fortgeschritten sind, mit vielen eigenen Innovationen neue Möglichkeiten eröffnen.
Welchen Beitrag zur Forschung im Bereich Produktionslogistik leistet das TZ PULS?
Sebastian Meißner: Innerhalb unseres Forschungsschwerpunkts betreiben wir das TZ PULS vor allem, um die interdisziplinären Kompetenzen zu Produktion und Logistik der beteiligten Wissenschaftler örtlich zu bündeln. So konnte sich die Lern- und Musterfabrik zu einem Schaufenster unserer innovativen Forschungsergebnisse entwickeln. In vielen Verbundprojekten mit der Industrie konnten Unternehmertum und Wissenschaft integriert und anwendungsnah innovative Forschungsergebnisse erzielt werden. Viele praxisnahe Lösungen sind direkt in unserer Lernfabrik konzipiert und erprobt worden, die jetzt mittelständischen Unternehmen direkt zugänglich sind.
An welchen Projekten wird aktuell am TZ PULS geforscht?
Markus Schneider: Unser aktuell größtes Projekt ist PR|IN|CE; das steht kurz für Process Innovation Center. In diesem Projekt helfen wir Unternehmen, ihre Prozesse wirklich innovativ und radikal neu zu gestalten. Bei den ersten Praxiskontakten mit den zwölf Unternehmen, die sich dafür gemeldet haben, geht es erst einmal darum einzuschätzen, wo sie derzeit stehen – ob sie überhaupt schon so weit sind, Prozessinnovation anzugehen, oder ob sie mit konventionellen, bekannten Methoden ihre Prozesse erst einmal stabilisieren sollten. Da können wir wertvolle Tipps und Einschätzungen geben.
Carsten Röh: Innerhalb des Themas Produktions- und Logistiksysteme vertrete ich den Schwerpunkt der Beschaffung und des Lieferantenmanagements. Aktuell steht Deutschland vor großen Herausforderungen, etwa hinsichtlich des CO2-Fußabdrucks und damit der Frage von Lieferketten, deren Geschäftsbedingungen sich absehbar ändern könnten, um nachhaltiger zu werden. Außerdem sehen sich Unternehmen aufgrund der Corona-Pandemie und bestimmten wirtschaftlichen Entwicklungen – Wiederaufschwung, Knappheiten, Transportschwierigkeiten – mit akuten Engpässen konfrontiert. Im Projekt PR|IN|CE arbeiten wir beispielsweise an wirksamen Innovationsprozessen für Produktions-, Logistik- und Beschaffungsfragen. Ich erwarte mir davon, dass wir Antworten finden, um den gerade genannten Herausforderungen effektiv begegnen zu können.
Sebastian Meißner: Mit KIProLog betreiben wir ein bayerisches Leuchtturmprojekt für die Anwendung von KI in der Produktionslogistik. Wir wollen mögliche Fehler in den Wertströmen der Fabrik vorausschauend erkennen und umschiffen können und durch digitale Assistenzsysteme zu besseren Entscheidungen in der Planung und Steuerung kommen. Mit dem neuen Projekt TwinTraSys erforschen wir digitale Zwillinge für Transportsysteme. Damit wird auch die Logistik vorausschauend; wir helfen Engpässe frühzeitig und automatisch zu erkennen, um rechtzeitig mit gezielten Maßnahmen eingreifen zu können. Das wird hoffentlich einen Beitrag leisten können, um die Wettbewerbsfähigkeit von Produktion und Logistik insbesondere der bayerischen Unternehmen zu stärken.
Welche Pläne haben Sie mit dem TZ PULS bis zum 10-jährigen Jubiläum?
Markus Schneider: Die Pläne für die nächsten Jahre sind insofern vorgezeichnet, als wir weiter den Menschen in den Mittelpunkt stellen wollen. Wir streben keine menschenleere Fabrik an, sondern wollen die Flexibilität des Menschen vornehmlich in der Montage, in der Produktion nutzen. Wir werden uns darauf konzentrieren, diesen Menschen – ob Führungskraft oder Werker – optimal mit Material und Information zu versorgen. Logistik transportiert ja nicht nur Material sondern auch Information.
Dies setzt zweierlei voraus: Zum einen wollen wir den gesamten Materialzuführungsprozess automatisieren. Und zum anderen müssen wir dazu viel mehr Informationen erfassen, also die Fabrik mit Sensoren ausstatten und diese Informationen den Menschen beispielsweise für Entscheidungsprozesse richtig zur Verfügung stellen. Um diese zu unterstützen, kommen Themen wie KI oder Digitaler Zwilling ins Spiel.
Was wünschen Sie dem TZ PULS für die nächsten fünf Jahre?
Sven Roeren: Ich wünsche dem TZ PULS weiteres Wachstum und zwar sowohl inhaltlich als auch volumenbezogen. Wir dürfen weitere Entwicklungen und Erfolge selbstbewusst forcieren und das, wie ich finde, sehr stimmige System mit den bestehenden Playern vor Ort und einer weiteren Unterstützung der wichtigen Player – also Hochschulleitung, Politik und vor allen der Wirtschaftsunternehmen im Fachbeirat und darüber hinaus – intensivieren.
Carsten Röh: Ich wünsche mir weiterhin so viel Tatkraft aller Beteiligten, besonders durch die Förderer unseres Instituts. Diese Tatkraft steht und fällt bei uns mit einer nachhaltigen Finanzierung, die uns unabhängiger von aufwendig zu stellenden Forschungsanträgen macht. Die Ressource Wissen ist an Wissensträger gebunden und diese sollten dauerhafter an unser Technologiezentrum gebunden sein. Menschen benötigen dabei keine „Glücksfälle“ in Form erfolgreich beschiedener Forschungsanträge, sondern Planungshorizonte – und nur so können wir dann rasch belastbare Antworten auf akute Fragen wie beispielsweise „Dekarbonisierung der Lieferkette“ oder „Steigerung der Versorgungssicherheit“ geben.
Markus Schneider: Dass wir mehr Förderung bekommen, die ebenfalls auf den Menschen, den forschenden Menschen ausgerichtet ist, wünsche ich mir; dass Menschen mit ihren Fähigkeiten hier gefördert werden, nicht nur Projekte. Momentan ist alles hier projektfinanziert, was bedeutet, dass am Ende eines Projektes die bearbeitende Person geht, egal wie gut sie ausgebildet ist. Ich glaube, dass wir auf diese Weise sehr viel Potential für unsere Gesellschaft verschenken.
Sebastian Meißner: Ich wünsche mir, dass der interdisziplinäre Charakter des TZ PULS mit der Zusammenarbeit von unterschiedlichen Wissenschaftlern und diversen Teams weiterhin zur innovativen Forschung und Lehre beiträgt. Das Angebot zum Studieren in Dingolfing mit den beiden erfolgreichen Masterstudiengängen wird durch den neuen Bachelorstudiengang „Sustainable Industrial Operations and Business“ zum Wintersemester 2023/24 gezielt erweitert. Akademische Ausbildung und anwendungsnahe Forschung in Dingolfing können so perfekt zusammenspielen. So werden wir auch die Lern- und Musterfabrik im Bereich der Digitalisierung von Produktion und Logistik stetig weiterentwickeln.
Wir wollen in den nächsten fünf Jahren hier vor allem die Themen Digitaler Zwilling und KI anschaulich und zugänglich darstellen, um eine weitere Verbreitung der Technologien in der Region zu ermöglich. So wird sich das TZ PULS als erste Anlaufstelle der Unternehmen der Region für Fragestellungen zu Smart Factory & Logistics weiter verankern können.
Sebastian Meißner ist Professor für Produktionsmanagement und Logistik an der Hochschule Landshut und leitet den Forschungsschwerpunkt Produktions- und Logistiksysteme (PULS). Er ist zudem Leiter des Masterstudiengangs „Werteorientiertes Produktionsmanagement“ (WPM), der am TZ PULS angeboten wird.
Sven Roeren ist Professor für Produktionsmanagement an der Fakultät Maschinenbau der Hochschule Landshut, zwischen 2013 und 2017 dort auch als Dekan und seitdem als Prodekan tätig. In Dingolfing leitet er das hochschuleigene An-Institut „Technologiezentrum Dingolfing GmbH“ und ist stellvertretender Leiter des TZ PULS.
Carsten Röh ist Professor für Automobilwirtschaft an der Hochschule Landshut. Am Technologiezentrum Produktions- und Logistiksysteme widmet er sich dem Schwerpunkt „Beschaffung und Lieferantenmanagement“.
Markus Schneider ist Professor für Logistik, Material- und Fertigungswirtschaft an der Hochschule Landshut und Experte für Lean Management und intelligente Produktionslogistik inklusive Industrie-4.0-Komponenten. Er leitet das Technologiezentrum Produktions- und Logistiksysteme (TZ PULS) mit der 900m2 großen Musterfabrik seit dessen Gründung 2016.