Wenn es so etwas gäbe wie eine Rekordzeit in Sachen Eingewöhnung am neuen Arbeitsplatz und Wohlfühlen am neuen Wohnort – Jan de Brandt (Foto) läge ganz weit vorne. Eine Woche nach dem Trainingsauftakt mit seinem neuen Team sitzt der Coach der Roten Raben auf einem Fleckchen Grün vor der Ballsporthalle, blinzelt in die Sonne und sagt: „Ich bin wirklich froh, dass ich hier sein kann."
Vilsbiburg sei ein perfekter Platz für professionellen Volleyball – die Organisation, die Infrastruktur, alles top. Und, füngt er hinzu, " ich liebe auch die Stadt – nette Menschen, kurze Wege, einfach schön".
Es mag ja in der Sportszene Akteure geben, die sich über eine neue Wirkungsstätte quasi aus Gewohnheit immer positiv bis überschwänglich äußern. Gerade von Fußball-Profis kennt man derlei routinierte Lobhudeleien. Jan de Brandt ist aus einem anderen Holz geschnitzt. Sagen wir es mal so: Er müsste eigentlich gar nichts sagen. Denn der Gesamteindruck, den er verströmt, sagt schon alles: Da ist jemand – bei aller professionellen Anspannung, bei aller Konzentration auf seine neue Aufgabe – ruhig, tiefenentspannt, ganz bei sich. Jan de Brandt ist in erstaunlich kurzer Zeit angekommen in Vilsbiburg.
Der 55-jährige Belgier hat schon einiges gesehen von der Volleyball-Welt. Er war als Spieler in seiner Heimat aktiv und machte 350 Länderspiele. Als Trainer arbeitete er zunächst mit Männerteams und ab 2001 mit Frauenmannschaften. Er coachte die belgischen Damen bei der EM 2007 und begann dann seine persönliche Europa-Reise als Trainer: CV Teneriffa, Fenerbahce Istanbul, Igtisadchi Baku und Volero Zürich hießen die Stationen. Die erfolgreichste Zeit war jene in der Türkei, wo Jan de Brandt mit Fenerbahce zweimal Meister wurde und in der Champions League das Finale erreichte. Einen vielbeachteten aktuellen Triumph feierte der Coach zudem im Frühjahr, als er die ungarische Nationalmannschaft zum ersten Mal seit 27 Jahren zur Europameisterschaft führte, die 2015 passenderweise in seiner Heimat Belgien (und in Holland) stattfindet.
Erst einmal aber steht der Trainer vor seiner ersten Saison in Vilsbiburg. Sie soll der Beginn eines längerfristigen Engagements sein. „Ich hoffe, dass ich hier auch Titel holen kann", betont Jan de Brandt. „Und im Herzen hoffe ich besonders, dass wir auch einmal Champions League spielen können." Das sei einfach „das Höchste" im Clubvolleyball.
Welcher Trainertyp ist er eigentlich, der Neue aus Belgien? Eher ein Freund flacher Hierarchien oder eher autoritär? Am Spielfeldrand betont ruhig oder häufig emotional? „Ach, das sollen andere bewerten", sagt Jan de Brandt. „Auf jeden Fall bin ich ein sehr offener Typ – als Trainer und auch sonst im Leben. Ich liebe andere Länder, andere Kulturen, andere Sprachen." Insgesamt acht spricht er mittlerweile, fünf davon fließend.
Der Volleyball hat Jan de Brandt, dessen Frau zu Hause in Belgien lebt und der mit ihr zwei erwachsene Kinder hat, hinausgeführt in die Welt, er hat sein Leben reicher gemacht. „Überall, wo ich war", erzählt der Weitgereiste, „habe ich Freunde gefunden. Das ist etwas sehr Wertvolles für mich."
Dabei war der Weg als polyglotter Volleyball-Coach keineswegs vorgezeichnet für Jan de Brandt. Er arbeitete zu Hause in Belgien als Lehrer, wurde aber nicht so recht glücklich in diesem Job: „Mit 35 habe ich mich entschieden aufzuhören und als Profitrainer anzufangen. Dieser kleine Volleyball ist einfach meine große Leidenschaft. Er bestimmt mein Leben."